Herr Müller und Herr Faust gehen nach Amerika



In dem deutsch-amerikanischen Auswanderungsprozess des 19. Jahrhunderts wurde das Verlassen der Heimat als individuelles Auswandererschicksal empfunden. Die zumeist unwiderrufliche Entscheidung auszuwandern wurde oft durch das Zusammentreffen mehrerer Faktoren herbeigeführt.
Als Beispiel können die Missernten des Jahres 1846/47, der amerikanische Bürgerkrieg zwischen 1861 und 1865 und auch das Ende der gründerzeitlichen Blüte um 1875 angeführt werden. Also hauptsächlich wirtschaftliche und politische Krisen. Erst um die Jahrhundertwende geht in Deutschland die Überseeauswanderung deutlich zurück. Neue Gesetze in den USA im Bezug auf die freie Landnahme, wie auch der Aufstieg der deutschen Industrie, sind als Gründe zu nennen.
Die USA blieben jedoch während des gesamten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts das Hauptziel deutscher Emigranten. In der Zeit zwischen 1850 und 1890 waren die Deutschen die größte nationale Einwanderergruppe. Insgesamt wanderten 5,9 Millionen Menschen in der Zeit von 1820 bis 1928 nach Übersee aus. Davon gingen 5,3 Millionen in die USA, 200.000 nach Brasilien, 145.000 nach Kanada (ab 1851) und 120.000 nach Argentinien (ab 1861). Noch geringer sind die Zahlen für Australien und Südafrika mit jeweils weniger als 50.000 Personen; und in die deutschen Kolonien kamen bis 1913 sogar nur rund 24.000 Menschen aus dem Mutterland.

  Zwischendeck

Zwischendeck
Aus: Arno Armgort, Bremen - Bremerhaven - New York
Bremen, 1991, S. 36.

Um das Jahr 1930 herum wurden mittels Gesetze die Einwanderungen zum ersten Mal geregelt. Auf Grund der weltweiten Wirtschaftskrise wurde in den wichtigsten Einwanderungsländern eine stärkere Immigrationskontrolle eingeführt. Schon in den Jahren 1921 und 1924 versuchte die amerikanische Regierung mit Einwanderungsquoten, nach Nationalitäten geordnet, den Immigrationszuwachs zu begrenzen. Dies wurde im Jahre 1927 deutlich. Die Zahl der Einwanderung nach Europa überstieg die Zahl der Auswanderer nach Ländern außerhalb Europas.
Auswanderungen innerhalb Europas in den 20er und 40er Jahren des vorherigen Jahrhunderts sind mit politischen Veränderungen zu begründen beziehungsweise waren eine Folge der beiden Weltkriege.

Die persönliche Wahrnehmung des Erlebnisses "Auswanderung" wird in zwei Beispielen geschildert:
Der Auswanderer Eduard Gustav Heinrich Müller legte 1834 nach seiner Ankunft in Bremen zunächst die drei Tage dauernde Reise von Bremen nach Bremerhaven zurück, um sich dort einzuschiffen.

"Am 18. Juli, morgens 10 Uhr, verliessen wir mit unserem schönen americanischen Dreimaster, der etwa 120 Fuss [etwa 36 m] lang und 30 Fuss [etwa 9 m] breit war, bei günstigem Winde den Hafen. Gegen Abend nahm der Wind zu, die See ging hoch und es währte nicht lange, da lagen fast alle Passagiere an der Seekrankheit danieder. Ein entsetzlicher Zustand! Das Jammern und Stöhnen der Kranken, das Geschei der Kinder, das flehentliche Gebet der Alten, dabei das Brausen der Wogen und das Rollen des Schiffes. Viele wünschten schon, ihre Heimat nie verlassen zu haben. Mein Schlaf-College bedauerte nichts mehr, als dass ihn die hannoversche Polizei, die ihn angehalten, weil er keinen Pass hatte, nicht zurücktransportiert hätte."

Müller musste, wie alle 136 Zwischendeck-Passagiere, selbst kochen:

"Als der Sturm sich legte und die Krankheit überwunden war, kehrte auch die Lebenslust zurück. Das Erste war, dass wir unsere Küche einrichteten. Wir erhielten grüne und gelbe Erbsen, weisse Bohnen, Reis, Grütze, Sauerkraut, Kartoffeln, gesalzenes Rind- und Schweinefleisch, Stockfisch und etwas Butter. ... Die Kartoffeln waren schon zu Ende, als noch nicht die Hälfte der Reise zurückgelegt war. Das Sauerkraut musste von Würmern gereinigt werden, ehe wir es kochen konnten. Das gesalzene Fleisch war ziemlich gut, wir mussten aber enthaltsam sein im Genusse, wegen des darauffolgenden Durstes. Die Erbsen blieben trotz allen Kochens hart wie Steine."

Die hygienischen Verhältnisse auf dem Schiff beschrieb Müller so:

"Ganz entsetzlich hatten wir von Ungeziefer zu leiden, man mochte anfangen, was man wollte, man konnte sich vor diesen lästigen Gästen nicht schützen. Bei vielen kam das Waschen gänzlich aus der Mode, es sei denn, dass eine heimtückische Woge sich über sie stürzte und sie von oben bis unten abspülte."





   
Wolfgang Buchhorn 07.04.2008